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Fundstelle: NJW 2001, 2898

Richterschlaf während der mündlichen Verhandlung
VwGO §§ 138 Nr. 1, 133 111 3
BVerwG; Urteil vom 13. 6. 2001; - 5 B 105/00 -


§ 1    Richter schlafen nicht!
§ 2    Sollte es ausnahmsweise doch einmal vorkommen, dass ein Richter in der Verhandlung eingeschlafen ist, gilt gleichwohl § 1.
§ 3    Sofern ein Anwalt dennoch meint, einen Richterschlaf monieren zu können, soll er mal schön aufpassen, dass er selbst nicht in die Haftung kommt!

(Leitsatz der Kanzlei Flick)

Aus dem Tatbestand:
Die Beschwerde des Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des OVG hat das BVerwG zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Aus den Gründen: Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ein die Zulassung der Revision nach § 132 II VwGO rechtfertigender Grund liegt nicht vor.

1. Die Revision kann nicht nach § 132 II Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden. Ob der Bewilligung von Eingliederungshilfe gern. §§ 39, 40 1 Nr. 3 BSHG für die Kosten von Integrationshelfern für behinderte Kinder an Regelschulen der Nachranggrundsatz entgegensteht, weil ein schulischer Kostenträger vorrangig verpflichtet ist, wäre im zukünftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Denn das BerGer. hat die - im Übrigen landesrechtliche - Frage, ob ein schulrechtlicher Anspruch auf die Bereitstellung eines Integrationshelfers besteht, offen gelassen, weil jedenfalls ein solcher Anspruch - sollte er bestehen - nicht rechtzeitig realisierbar wäre und deshalb als bereites Mittel der Selbsthilfe ausscheide. Dass unter diesen Umständen der Nachrang der Sozialhilfe durch den möglicherweise gegen einen Dritten bestehenden Rechtsanspruch nicht ausgelöst wird, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwGE 100, 50 [54] = Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr. 20 = NVwZ-RR 1996, 508 = NVwZ 1996, 1104 L m. w. Nachw.) und ist nicht weiter klärungsbedürftig.

Soweit die Beschwerde dem BerGer. vorwirft, es habe zu Unrecht die Geltung des Nachranggrundsatzes mit der Begründung verneint, dass der Kl.. keine bereiten Mittel zur Verfügung gestanden hätten, greift sie die Rechtsanwendung im Einzelfall als unrichtig an. Das Gleiche gilt für die Einwendungen der Beschwerde gegen die berufungsgerichtliche Bestimmung der Reichweite der Bestandskraft und Bindungswirkung des Schulzuweisungsbescheids der Stadt H. vom 14. 6. 1994 im Zusammenhang mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Eltern. Mit Angriffen gegen die Rechtsanwendung im Einzelfall kann eine Grundsatzrüge ebenso wenig begründet werden wie mit Einwendungen gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung.

2. Die Revision kann auch nicht nach § 132 11 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Zwar behauptet die Beschwerde, das Berufungsurteil weiche von Entscheidungen des BVerwG zur Auslegung des § 3 11 3 BSHG und zu den Grenzen anspruchsunschädlicher Bedarfsdeckung durch Dritte ab, weil es gegen diese Entscheidungen verstoße. Das reicht jedoch für eine i. S. des § 133 111 3 VwGO ordnungsgemäße Divergenzrüge nicht aus. Denn Abweichung meint Widerspruch im abstrakten Rechtssatz (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 132 11 Ziff. 2 VwGO Nr. 2; st. Rspr.), so dass auch und vor allem darzulegen ist, welcher im anzufechtenden Urteil aufgestellte abstrakte Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift zu einem im angezogenen Urteil aufgestellten abstrakten Rechtssatz in Widerspruch steht. Nach § 133 III 3 VwGO ist deshalb die Gegenübers ;, voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze unverzichtbar (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 132 und VwGO Nr. 9- NVwZ-RR 1996, 712). Daran fehlt es. Mit Angriffen gegen die berufungsgerichtliche Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall dagegen kann eine Abweichungsrüge nicht begründet werden (vgl. Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302, Buchholz 3 VwGO Nr. 264, S. 14 = NVwZ-RR 1997, 191 sowie Buchholz 310 § 133 n. E VwGO Nr. 26, S. 14; st. Rspr.).

3. Schließlich rechtfertigt auch die von der Beschwerde erhobene Besetzungsrüge (§ 138 Nr. 1 VwGO) nicht die Zulassung der Revision nach § 132 II Nr. 3 VwGO. Insoweit genügt der Vortrag ebenfalls nicht den formellen Erfordernissen des § 133 111 3 VwGO. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muss derjenige, der sich darauf beruft, das Gericht sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung eingeschlafenen Richters nicht ordnungsgemäß beseetzt gewesen, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der Verhandlung ausschließen (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 17 und Nr. 26, S. 8; BFHE 14; [403]; BFH, BFH/NV 1986, 468 [469], BFHINV 1998,1355, 113561, BFH/NV 1999, 1491, BFH/NV 2001, 324).Dabei sind der Zeitpunkt, die Dauer und die Einzelheiten des Verhaltens des Richters genau anzugeben (vgl. BVerwG,Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nrn. 11 und 15 sowie: holz 310 § 133 VwGO Nr. 21, S. 13; BFH, BFH/NV 1986, 468 ). Weiterhin hat die Besetzungsrüge darzulegen, was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist (BFHE 147, 402 [403]; BFH, BFH/NV 1991, 250 und BFH/NV 1999, 1491), welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter während seines "Einnickens" nicht habe erfassen können (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 17 und Nr. 26 und v. 24.5.2000-32/00 - Beschlussabdr. S. 3; BSG, BeschL v. 28.3.1985 BU 240/84 - HV-Info 1985, 12 [141).

Die Darlegungen der Beschwerde genügen den vorgenannten Anforderungen nicht. Die Beklagtenvertreterin trägt insoweit vor: "Der ehrenamtliche Richter H war unfähig, der Verhandlung zu folgen, weil er über einen längeren Zeitraum ununterbrochen die Augen geschlossen hatte und - wie durch seine Körperhaltung, nämlich Senken des Kopfes auf die Brust und ruhiges tiefes Atmen sowie "Hochschrecken" - zum Ausdruck kam, offensichtlich geschlafen hat." Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags hat sie auf einen Vermerk des ihr zur Ausbildung zugewiesenen Rechtsreferendars Bezug genommen, der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatte und in seinem Vermerk anmerkt, "dass während nahezu der gesamten Verhandlung der ehrenamtliche Richter einnickte. Er schien der Verhandlung nicht zu folgen".

Aus diesen mitgeteilten Beobachtungen, die weder hinsichtlich der Dauer des behaupteten Einnickens bestimmt sind noch sich inhaltlich decken und die vom Klägervertreter der ebenfalls an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, nicht bestätigt werden, lässt sich aber, selbst wenn sie zuträfen, noch nicht sicher darauf schließen, dass der bezeichnete Richter tatsächlich über einen längeren Zeitraum geschlafen hat und der mündlichen Verhandlung nicht folgen konnte. Das Schließen der Augen über weite Strecken.` Verhandlung und das Senken des Kopfes auf die Brust beweist allein nicht, dass der Richter schläft. Denn diese Haltung kann auch zur geistigen Entspannung oder zwecks besonderer Konzentration eingenommen werden (vgl. BVerwG Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 17; BVerwG, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 63, S. 44; BFH, BFH/NV 1986; 468 und BFH/NV 1999, 1491). Deshalb kann erst dann davon dann ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise "abwesend" ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung (, BVerwG, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 63, S.44 und Buchholz 310 §138 Ziff. 1 BVG VwGO Nr. 17; BFH, BFH/NV 1999, 1491). Derartige Beweisanzeichen hat die Beschwerde nicht in ausreichenden Maße vorgetragen. Ruhiges und tiefes atmen kann ebenfalls ein Anzeichen geistiger Entspannung oder Konzentration sein, insbesondere dann, wenn es für andere nicht hörbar erfolgt, denn gerade dies kann darauf schließen lassen, dass der Richter den Atmungsvorgang bewusst kontrolliert und nicht schläft. Auch das " Hochschrecken " des Richters hat die Beschwerde nicht näher geschildert, vor allem nicht dargelegt, dass er nach dem " Hochschrecken " einen geistig desorientierten Eindruck gemacht habe. " Hochschrecken " allein kann auch darauf schließen lassen, dass es sich lediglich um einen die geistige Aufnahme des wesentlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung nicht beeinträchtigenden Sekundenschlaf gehandelt hat.

Des Weiteren lässt es die Beschwerde an jeglichem Darlegungen dazu fehlen, was konkret in der Phase, in der der ehrenamtliche Richter geschlafen haben soll, in der mündlichen Verhandlung geschehen ist. Wie aus dem Vermerk des Referendars ersichtlich, war die mündliche Verhandlung in mehrere Abschnitte gegliedert, nämlich Vortrag des Sach und Streitstandes durch den Berichterstatter, Vergleichsgespräch des Vorsitzenden mit den Parteien und schließlich Verhandlung der Beteiligten zur Sache. Darüber hinaus ergibt sich aus den Sitzungsprotokoll, dass die von 12:48 Uhr bis 14:21 Uhr dauernde Verhandlung um 13:35 Uhr durch eine elf minütige Pause unterbrochen wurde, in der sich der Senat zu einer kurzen Zwischenberatung zurückzog. Auf welche diese Abschnitte der mündlichen Verhandlung sich das behauptete Einnicken des ehrenamtlichen Richters bezogen haben soll, wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Ihre Angabe, dies habe sich auf einen längeren Zeitraum bezogen, ist demnach bei Weitem zu unbestimmt, um aus ihr ableiten zu können, der ehrenamtliche Richter sei bei wesentlichen Vorgängen in der mündlichen Verhandlung geistig abwesend gewesen.

Ganz offensichtlich hatte die Beklagtevertreterin -wie sich daraus ergibt, dass sie das Angebliche schlafen des ehrenamtlichen Richters während der fast zweistündigen Verhandlung nicht zur Sprache gebracht oder beanstandet hat- auch selbst während der mündlichen Verhandlung nicht den sicheren Eindruck einer ins Gewicht fallenden geistigen Abwesenheit des ehrenamtlichen Richters. Denn es kann hier nicht unterstellt werden, dass sie unter Verstoß gegen ihre dienstlichen Pflichten gegenüber ihrem Dienstherrn und unter Verletzung der gebotenen Verfahrensfairness einen solchen Eindruck, wenn sie sich ihrer Sache sicher gewesen wäre, nicht zugleich dem Vorsitzenden Richter mitgeteilt und um Abhilfe gebeten hätte, um sich mit diesem treue- und pflichtwidrigen Verhalten einen absoluten Revisionsgrund für den Fall des Unterliegens zusichern (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 20, Seite 10 und Buchholz 310 § 138 Ziff. 1VwGO Nr. 26, S. 8).
(...)


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