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Fundstelle: MMR 2000, 112

Anscheinsbeweis bei Festnetz-Telefonie
BGB §§ 611 ff., 138 Abs. 1; ZPO § 286
LG Bielefeld: Urteil vom 8.4.1999; Az.:8 O 338/98;

1. Auf Telefonate ist auch bei 0190-Nummern Dienstvertragsrecht anwendbar.
2. Für die zutreffende Erfassung der angefallenen Gebühreneinheiten bei der Deutschen Telekom AG spricht der Beweis des ersten Anscheins, wenn Anhaltspunkte für ein technisches Versagen der Zählereinrichtungen nicht vorhanden sind. Der Anscheinsbeweis wird durch den Nachweis der eigenen Abwesenheit nicht erschüttert. Erforderlich sind substanziierte Behauptungen, die eine außerhalb der Sphäre des Teilnehmers liegende Ursache für die registrierten Einheiten nahelegen.
3. Die etwaige Sittenwidrigkeit des vermittelten Telefongesprächs führt nicht zu einem Wegfall des Anspruchs auf Zahlung der Verbindungsentgelte. Denn die Vermittlung als solche ist rechtlich neutral und wird von der Sittenwidrigkeit der Gespräche nicht berührt.

Leitsätze der Redaktion MMR

Aus dem Tatbestand:
Der Bekl. wohnte in dem Zeitraum 1994 bis 1998 in einer gemeinsamen Wohnung mit seinen Eltern.

Die Eltern des Bekl. verfügen über einen Telefonanschluss bei der KI., den auch der Bekl. nutzte. Im Jahr 1995 stiegen die Telefongebühren bei ihnen sprunghaft an, da über den Anschluss 0190-Nummer gewählt wurden. Zeitweise sperrten die Eltern den Apparat mit einer Codenummer. Dennoch nahmen die Telefonkosten nicht ab. Die KI. führte daraufhin eine technische Vollprüfung durch, die keine technischen Mängel ergab. Außerdem schaltete sie eine Zählervergleichseinrichtung, mit der alle aus- und eingehenden Verbindungen protokolliert werden und die richtige Tarifierung überprüft wird. Hinweise auf eine Manipulation ergaben sich nicht. Die Eltern des Bekl. statteten im Februar 1997 ihr Telefon mit einer sog. fest eingerichteten Sperre für 0190-Nummern aus. Der Bekl. meldete bei der Kl. im März 1997 einen eigenen Telefonanschluss an. Grundlage der Vertragsbeziehung waren die AGB der KI. für den Telefondienst.

Die KI. übersandte unter dem 18.4.1997 eine Rechnung über 86,95 DM Grundgebühr und zwei monatliche Grundgebühren, insgesamt 136,90 DM. Unter dem 21.5. übersandte sie eine Rechnung über den Betrag von 161,50 DM, der einen weiteren Grundbetrag enthielt und am 19.6.1997 eine Rechnung über 188,10 DM. Mit dem in der Juli-Rechnung abgerechneten Zeitraum fielen extrem hohe Verbindungsentgelte auf. Die technischen Einrichtungen wiesen keinen Fehler auf. Vom 16.7.1997 bis zum 27.8.1997 beobachtete die KI. auch diesen Anschluss mit einer Zählervergleichseinrichtung.
Im TK-Netz der Kl. war der letzte Schaltpunkt verplombt. Am 9.12.1998 stellte der Mitarbeiter der Kl. fest, dass die Plombe unversehrt war. Die KI. behauptet, die Höhe des Entgeltes resultiere aus einer Anwahl von 0190-Service-Nummern, insb. der Anwahl eines Zapp-Karussells unter der Nummer 0190-... .

Der Bekl. behauptet, er habe den Service 0190 nie in Anspruch genommen. Die Tatsache, dass er und seine Eltern ständig mit 0190er-Nummern konfrontiert worden seien, zeige, dass ein Fehler vorliege. Da er nicht telefoniert habe, sei ein unbefugtes Aufschalten gegeben. Hierfür spreche, dass er manchmal, wenn er den Hörer abgenommen habe, ein Besetztzeichen gehört habe. Schließlich bestehe auch die Möglichkeit, sich mittels eines Computers in das Telefonnetz einzuklinken.
Nach Ansicht des Bekl. ist die Durchsetzung der Forderung zudem sittenwidrig, da es sich bei der Nr. 0190-... - das ist unstreitig- um einen Anbieter für Telefonsex handele.

Aus den Entscheidungsgründen:
(...)
Die KI. hat gegen den Bekl. einen Anspruch aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Telefondienstvertrag i.V.m. §611 BGB. Das Gericht geht davon aus, dass die von der KI. in den Rechnungen angeführten Tarifeinheiten von dem Anschluss des Bekl. verursacht worden sind. Unstreitig entsprechen die jeweils angegebenen Tarifeinheiten den von der KI. abgelesenen Zählerständen.

Für die zutreffende Erfassung der angefallenen Gebühreneinheiten spricht der Beweis des ersten Anscheins. Diesen Anscheinsbeweis hat der Bekl. nicht erschüttem können.
Der Anscheinsbeweis setzt einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und so sehr das Gepräge des Üblichen trägt, dass die besonderen Umstände des einzelnen Falls in ihrer Bedeutung zurücktreten (OLG Hamm Archiv PT 1994,242). Aufgrund der Massenhaftigkeit des modernen Telefonverkehrs ist die Kl. gezwungen, automatische Zählwerke zu benutzen. Dabei macht die Anzeige der automatischen Gebührenerfassung grundsätzlich zutreffende Aussagen über die von dem einzelnen Anschluss verbrauchten Tarifeinheiten (OLG Schleswig Archiv PT 1997,59). Das gilt nach überwiegender Rspr. jedenfalls dann, wenn keinerlei Ansatz für einen technischen Fehler besteht (LG Essen NJW 1994,2365; OLG Hamm Archiv PT 1994, 242) bzw . zählerbeeinflussende Fehler nicht festgestellt werden können und sich die Zählereinrichtungen bei Überprüfung in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden haben (OLG Düsseldorf Archiv PT 1998, 52). Ansatzpunkte für ein technisches Versagen sind nicht vorhanden. Zwar hat die KI. lediglich den Anschluss des Vaters des Bekl. einer Vollprüfung unterzogen, da der Bekl. der Kl. ggü. die Rechnungen nie angezweifelt hat. Wie die Angestellte der Kl. ... geschildert hat, wird im Rahmen der Vollprüfung das gesamte Kabel von der Anschlussdose des Kunden bis zur Vermittlungsstelle hin kontrolliert. Damit umfasst die Überprüfung nicht nur den Anschluss des Vaters, sondern gleichzeitig auch weitere von dem Haus gelegte Anschlüsse, also auch den bis zum Endverzweiger identischen Anschluss des Bekl. Außerdem wird der Endverzweiger auf Manipulationen hin geprüft. Diese Nachforschungen haben unstreitig keine Fehler ergeben. Hinzu kommt, dass der Endverzweiger verplombt war und die Plombe noch im Dezember 1998 in unversehrtem Zustand war.

Den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis hat der Bekl. nicht erschüttert. Zum einen genügt es nicht, wenn der Bekl. behauptet und unter Beweis stellt, dass er zu bestimmten Zeiten den Anschluss nicht benutzt haben könne, da er nicht zu Hause gewesen sei. Der Anscheinsbeweis ist nicht schon dadurch erschüttert, dass der Anschlussinhaber seine eigene Abwesenheit während des Abrechnungszeitraums nachweist. Er muss vielmehr vortragen und nachweisen, dass während des fraglichen Zeit- raums niemand Zutritt zu seiner Wohnung und zu dem Telefonanschluss gehabt habe (vgl. LG München NJW-RR 1996,893). Denn der Kunde hat nach Ziffer 4 der AGB der KI. auch die Preise zu zahlen, die durch befugte oder unbefugte Benutzung des Anschlusses durch Dritte entstanden, so weit diese Nutzung durch ihn zu vertreten ist.

I.ü. enthält der Vortrag des Bekl. keinerlei substantiierte Be- hauptungen, die eine andere außerhalb der Sphäre des Bekl. liegende Ursache für die registrierten Einheiten nahe legen. Im Gegenteil sprechen zahlreiche weitere Gesichtspunkte gegen eine unbefugte Aufschaltung unbekannter Dritter. Auffällig ist etwa, dass zunächst der Anschluss des Vaters, zu dem der Bekl. auch Zugang hatte, hohe Zählerstände aufwies und dieses erst endete, als die Eltern des Bekl. sich entschlossen, eine feste Sperre für 0190-Nummern einrichten zu lassen. Mit der Einrichtung des eigenen Anschlusses entstanden dann die Gesprächskosten auf dem Anschluss des Bekl. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Kosten von einem Familienmitglied verursacht worden sind. (...)

Es scheint aber ausgeschlossen, dass ein unbekannter Dritter sich mittels Aufschaltung so exakt an die von dem Anschluss auf ordentlichem Weg geführten Gespräche einklinken kann. Schließlich spricht die länge der über den Anschluss des Bekl. geführten 0190-Gepräche gegen eine Aufschaltung. Die Gespräche dauerten oftmals mit Unterbrechungen mehrere Stunden, die der unbekannte Aufschalter im Freien hätte verbringen müssen. Auffällig ist schließlich, dass keine Gespräche geführt wurden, als der Bekl. im Urlaub war (...) Es wäre aber äußerst ungewöhnlich, wenn ein unbekannter Aufschalter davon Kenntnis hätte und sich in seinem Gesprächsverhalten daher nach der Anwesenheit des Bekl. gerichtet hätte.

Die Zahlungsverpflichtung des Bekl. entfällt nicht ganz oder teilweise nach § 138 Abs. 1 BGB. Die etwaige Sittenwidrigkeit der vermittelten Gespräche führt nicht zum Wegfall des Anspruchs auf Zahlung der Verbindungsentgelte (OLG Schleswig-Ho/stein Archiv PT 1997, 59). Der Telefondienstvertrag zwischen den Parteien ist nicht sittenwidrig. Ein sittenwidriges Verhalten der Kl. liegt aber auch nicht vor, so weit ein Teil der von ihr vermittelten Gespräche Telefonsex zum Inhalt gehabt haben. § 138 BGB ist im Verhältnis zu dem Bekl. als Geschäftspartner der KI. nur anwendbar, wenn alle Beteiligten subjektiv sittenwidrig handeln, also Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich dieser Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Die Kenntnis eines unsittlichen Beweggrundes eines anderen genügt nicht. Hinzu kommen muss die Billigung, Förderung oder Ausnutzen der sittenwidrigen Absicht eines anderen. Die KI. vermittelt aber bloß Gespräche. Die Vermittlung als solche ist rechtlich neutral und wird von der Sittenwidrigkeit der Gespräche nicht berührt. Kenntnis von dem Inhalt der Gespräche hat die KI. nicht. I.ü. muss für den vorliegenden Fall dasselbe gelten wie für andere wertneutrale Hilfsgeschäfte wie etwa Pacht-, Kauf- und Gesellschaftsverträge über Bordelle oder Mietverträge mit Prostituierten, die von der Rechtsprechung als wirksam angesehen werden (vgl. LG Bielefeld -205 130/98, 5.5 m.w.Nw.)

(...)


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