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sittenwidriger Domain-Handel
§ 138 BGB
LG Frankfurt/M.: Urteil vom 10.02.1998 – 2/14 O 412/97 -

Ein Rechtsgeschäft, welches die Überlassung einer Vielzahl von Internet-Domains gegen Vergütung zum Gegenstand hat, ist sittenwidrig, wenn die Vereinbarung im Kern darin besteht, Inhaber bekannter Firmen, Marken oder Geschäftsbezeichnungen zu veranlassen, sich die Benutzung derselben im Internet zu erkaufen.
(Leitsatz der Kanzlei Flick)

Aus dem Tatbestand:
Der Kläger beansprucht die Rückzahlung der von ihm an die Beklagte bezahlten Vergütung für die Überlassung einer Vielzahl von Internet-Domains. Die Beklagte betreibt eine Werbe-, Media-, Anzeigen- und Presseagentur. Sie bietet unter der Bezeichnung "Großes Deutsches Branchenbuch" Dienstleistungen im Internet an.
(...)

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des von ihm aufgrund der Vereinbarung vom 31.07.1996 als sog. Kosten der Übernahme gezahlten Gesamtbruttopreises besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
Als Grundlage des mit der Klage geltend gemachten Begehrens kommt nur ein Anspruch auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 I BGB) in Betracht. Die Voraussetzungen eines daneben allenfalls denkbaren Schadenersatzanspruches wegen sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB), auf den der Kläger sein Begehren selbst nicht stützt, sind annähernd erkennbar. Auch der vom Kläger hilfsweise angeführte Gesichtspunkt eines Rücktritts aus einem Dauerschuldverhältnis kann das Begehren nicht tragen, denn er betrifft nicht die Frage, ob die für die Begründung der Rechtsbeziehung erbrachte Leistung – der Kaufpreis – zurückzugewähren ist; Ein Rücktritt aus dem Dauerschuldverhältnis könnte sich nur auf Leistung beziehen, für die von der Beklagten erst in der Zukunft Gegenleistungen geschuldet wären; um solche künftigen Leistungen geht es hier aber nicht.
Der geltend gemachte Bereicherungsanspruch (§ 812 I BGB) besteht nicht. Allerdings geht der Kläger zutreffend davon aus, daß er den als sog. Kosten der Übernahme an die Beklagte gezahlten Gesamtbruttopreis von DM 51.750,00 ohne rechtlichen Grund gezahlt hat. Hierfür kann dahinstehen, ob diese Leistung rechtlich als Kaufpreis oder als Vergütung aus einem atypischem Vertragsverhältnis zu qualifizieren ist. Die ihr zu Grunde liegende Vereinbarung vom 31.07.1996 stellt jedenfalls für die Zahlung keinen rechtlichen Grund dar, denn sie ist wegen Verstoßes der Vertragsparteien gegen die guten Sitten gem. § 138 I BGB nichtig.

Die zu der Vereinbarung der Parteien gehörige Liste wies folgende Bezeichnungen der auf den Kläger zu übertragenden Domains auf:
(...)
Aus der Liste ergibt sich auf den ersten Blick, daß sie eine Ansammlung berühmter oder zumindest bekannter Namen, Firmen und Marken von in Deutschland bzw. weltweit tätigen Unternehmen darstellt. Das bedarf angesichts der fast durchweg jedermann geläufigen Namen und Firmen keiner näheren Begründung. Da ein anderes Interessen für die Eintragung von Domains mit diesen Bezeichnungen nicht erkennbar ist, mußte für die Parteien auf den ersten Blick klar sein, daß bewußt diese Namen, Firmen und Marken und sonstigen Geschäftsbezeichnungen für eine eventuell gewollte Internet-Präsenz der fraglichen Unternehmen blockiert werden sollten. Dies machte erkennbar nur dann einen Sinn, wenn Zweck der Eintragungen war, einen Gewinn durch eine Weiterübertragung der Domains auf die Namensinhaber zu ermöglichen. Einen wenn auch in der Diktion verharmlosenden, aber für den Leser der Liste hinreichend deutlichen Hinweis auf diesen geschäftlichen Zweck, erläutert anhand der damals aktuellen Beispiele "sharp.de" und "epson.de", enthielt das Schreiben der Beklagten vom 22.07.1996, mit dem sie dem Kläger die Liste der angebotenen Domains übersandte.
(...)
Ein Rechtsgeschäft das, wie die vorliegend zu beurteilende Vereinbarung der Parteien, im Kern darin besteht, die Chance weiterzugeben, die Träger berühmter Namen oder die Inhaber bekannter Firmen, Marken bzw. Geschäftsbezeichnungen zu veranlassen, sich die Benutzung ihres eigenen Namens bzw. ihrer eigenen Firma, Marke oder Geschäftsbezeichnung im Internet zu erkaufen, ist sittenwidrig. Selbst wenn man es als Leistung der Beklagten oder eines ihrer Kunden, der die ursprüngliche Eintragung dieser Namen, Firmen ,Marken und Geschäftsbezeichnungen als Internet-Domains veranlaßt hat, betrachten mag, vor den Trägern der Namen oder den Inhabern der Firmen, Marken bzw. Geschäftsbezeichnung die geschäftlichen Möglichkeiten des Internet erkannt zu haben, konnte dies doch nicht den Mißbrauch der Namen, Firmen, Marken und Geschäftsbezeichnungen Dritter zu dem Zweck rechtfertigen, deren Nutzung im Internet von der Zahlung einer wie auch immer definierten Übertragungsgebühr durch den Inhaber des Namenrechts bzw. der Marke abhängig zu machen. Die Initiative wäre nicht zu beanstanden gewesen, hätte der Initiator sich damit begnügt, den in Betracht kommenden Unternehmen die Idee und den Nutzen einer eigenen Internet-Domain vorzustellen und ihnen seine Dienste bei der Umsetzung dieser Idee anzubieten. Sittlich zu beanstanden ist dagegen die Schaffung vollendeter Tatsachen, verbunden mit der Forderung einer Geldentschädigung für die Herausgabe der Domain.
Ob damit bereits der Straftatbestand der Erpressung (§ 253 I StGB) verwirklicht ist, bedarf im Zivilprozeß keiner Entscheidung.
Obwohl danach die Zahlung des Klägers rechtsgrundlos erfolgt ist, besteht ein Anspruch auf Rückzahlung nicht. Ob sich diese Folge allerdings aus dem Gesichtspunkt der Kenntnis der Nichtschuld § 814 BGB) herleiten läßt, ist zweifelhaft, weil im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung der Parteien, im Juli 1996, die heutige Rechtsprechung zur Rechtswidrigkeit spekulativer Domain-Registrierungen, dem sog. Domain-Grabbing, (vgl. LG –Hamburg CR 1997, 157; LG Braunschweig NJW 1997, 2687; LG Lüneburg WM 1997,1452; LG Frankfurt a. M. CR 1997, 287; LG Ansbach NJW 1997, 2688; LG Düsseldorf WM 1997, 1444) noch nicht gebildet hatte. Die erste bekannt gewordene einschlägige Entscheidung im Fall "heidelberg.de" (LG Mannheim, Urteil vom 8.3.1996 in NJW 1996, 2736) ist etwa in der NJW erst in Heft 41 und somit erst im Oktober 1996 veröffentlicht worden. Sie dürfte im Juli 1996 nur einen sehr kleinen interessierten Fachpublikum bekannt gewesen sein. Ob sie der Beklagte bekannt war mag dahinstehen; jedenfalls kann nicht unterstellt werden, daß auch der Kläger sie kannte und daß er aus dieser Kenntnis den sicheren Schluß auf die Nichtigkeit des Geschäfts mit den Internet-Domains gezogen hat.
Die Rückforderung kann aber unter dem Gesichtspunkt eines sich aus der bewußten Übernahme eines bekannten Risikos ergebenden Verzichts ausgeschlossen sein, wenn der Empfänger nach Treu und Glauben aus dem Verhalten des Leistenden den Schluß ziehen durfte, der Leistende wolle die Leistung gegen sich gelten lassen, einerlei wie der Rechtsgrund beschaffen sei. Eine derartige Fallkonstellation ist hier gegeben, denn die Beklagte hatte die sich auf dem zweifelhaften geschäftlichen Zweck ergebenden Schwierigkeiten anhand der damals aktuellen Beispiele "sharp.de" und "epson.de" erläutert und unmißverständlich klargemacht, daß sie das Geschäft nur abschließen würde, wenn der Kläger das bekannte Risiko übernehmen würde, daß einzelne Domain dem Namensschutz Dritter unterliegen könnten. Der Kläger übernahm, in Ziff. 3 der Vereinbarung (...) neben den geschäftlichen Chancen ausdrücklich auch das damit verbundene Risiko. Damit verzichtete er auch für den Fall, daß das Geschäft als sittenwidrig zu beurteilen sei, auf die Rückzahlung des Kaufpreises.
Ein Verzicht auf die Rückzahlung des Kaufpreises wäre lediglich für den Fall zu verneinen, daß der Beklagte i.S. von § 123 I BGB arglistig getäuscht worden wäre und somit einen von der Sittenwidrigkeit des Vertrages unabhängigen Grund zur Anfechtung hätte. Das ist aber nicht der Fall, denn spätestens nach dem schriftlichen Angebot der Beklagten vom 22.7.1996 mußte dem Kläger das bestehende Risiko - überdeutlich erläutert am Beispiel der aktuellen Fälle – klar sein und war auch der Hinweis der Beklagten darauf, daß der Kläger dieses Risiko übernehmen müsse, wenn er die Internet-Domains haben wolle, nicht mißzuverstehen. Die Beklage hat somit nicht arglistig gehandelt.
Die Frage, ob die Rückforderung unabhängig von dem festgestellten Verzicht des Klägers auch nach § 817 BGB wegen beiderseitigen Sittenverstoßes der Parteien ausgeschlossen wäre, bedarf danach keiner Entscheidung mehr.
Da der Vertrag der Parteien insgesamt nichtig ist, kann der Kläger schließlich auch keine Rechte aus einem angeblich vertragswidrigen Verhalten der Beklagten herleiten. Im übrigen hat die Beklagte unwiderlegt dargetan, daß sie im Fall der Freigabe von Domains jeweils zuvor dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, sich mit dem jeweiligen Anspruchsteller auseinanderzusetzen, was der Kläger ja auch in verschiedenen Fällen getan hat. Die Tatsache, daß der Kläger in solchen Auseinandersetzungen unterlag und mit Kosten belastet worden ist, geht nicht zu Lasten der Beklagten. Sie ist vielmehr die vom Kläger selbst zu tragende Konsequenz aus dem mit der vermeintlichen Geschäftschance bewußt übernommenen Risiko.

(...)


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